Eine Analyse des Kolonialismus im Bildungssystem: Alice Hasters, Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten (2019)
by Martha Davies
As an Afrogerman activist and writer, Alice Hasters encourages the discussion of the racism in Germany’s past. In particular, she highlights the silence of the education system surrounding Germany’s role as a coloniser, as well as the racism of prominent figures in German history. By recognising the traces of colonialism in education, she suggests, we can begin to create a more representative and realistic view of history. I suggest that what emerges from her writing is the power of literature itself to raise awareness of racism and to help us work towards change.
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“Literatur ist eines der erfolgreichsten Medien, um Geschichte zu vermitteln und lebendig zu halten.” ~Tina Bach
“I write – and read – to assure myself that other people have felt what I’m feeling too, that it isn’t just me, that this is real, and valid, and true.” ~ Reni Eddo Lodge
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Alice Hasters zeigt in ihrem Werk, dass die Identitäten und Erfahrungen von weißen Menschen unsere Geschichtsbetrachtung dominieren. Folglich dominieren sie auch im Unterricht. Im Kapitel ‘Schule’ ihres Buches schreibt sie, “Der Lehrplan geht von einem weißen deutschen Standard aus. Alles, was davon abweicht, wird ignoriert.” (S.53) Als Konsequenz dessen wird in den Schulen ein Curriculum erschaffen, das sich nur auf weiße Menschen konzentriert; die Erfahrungen von Minoritäten werden dabei ignoriert, weil der historische Diskurs von weißen Menschen beherrscht wird. Das Weltbild, das das Bildungssystem schafft, ist deshalb auch weiß. Dieses Phänomen trägt zu dem ‘Othering’ Prozess bei, mit dem Minoritäten als Objekt gesehen werden. Hasters repräsentiert diesen Prozess in ihrem Buch mit der Kursivierung des Wortes ‘weiß’. In einem Interview mit dem ‘Bayerischen Rundfunk’ erklärt sie, dass diese Kursivierung zeigt, inwiefern weiße Menschen “eine Kategorie sind […] wie ich eine Kategorie bin, [sind] sie auch eine Kategorie.” Hasters sagt, dass das ein Teufelskreis sei, weil, “Doch die Dinge, die man nicht lernt, die nicht Teil des Unterrichts sind, die stellt man auch nicht infrage. Für die gibt es kein kritisches Bewusstsein.” (54). Das weiße Weltbild muss in Frage gestellt werden, aber paradoxerweise können wir das nicht machen, weil wir nichts über ‘whiteness’ und ‘white privilege’ lernen. Deswegen bleibt die Kategorie weiß die Norm. Ihr Buch bietet dabei eine andere Perspektive an, mit der die Leser*innen dieses Problem nachvollziehen können.
Hasters schreibt, dass ein wichtiger Aspekt dieses weißen Weltbildes eine fehlende Thematisierung der deutschen Kolonialgeschichte ist. “Elf Jahre bin ich zur Schule gegangen, ohne auch nur einmal die Verbindung Deutschlands zu Afrika im Unterricht behandelt zu haben,” enthüllt sie am Anfang des Kapitels (52). Deutsche Kolonialgeschichte wird in der Schule nicht erwähnt und wird deshalb auch nicht angefochten. Hasters übernimmt diese Aufgabe und diskutiert Kant als Beispiel der nicht erzählten Geschichten der deutschen Kolonialzeit. “In der Schule lernten wir, dass Kant über Aufklärung, Vernunft und über Liebe schrieb. Seine anderweitig bedeutenden Schriften fanden allerdings keine Erwähnung im Unterricht. Kant ist nämlich auch ein richtig übler Rassist gewesen.” (54) Hier zeigt Hasters die rassistische Realität der Vergangenheit. In einem Interview mit ALEX Berlin fügt sie hinzu, “dass [Kant] eine [total] große Rolle gespielt hat im Deutschunterricht und [ich] war sehr überrascht zu sehen, was er denn alles sonst noch geschrieben hat. Das waren sehr rassistische Sachen. Also haben die Deutschen auf jeden Fall dazu beigetragen, diese Verwissenschaftlichung von Rassismus voranzutragen.” Die rassistische Meinungen und Theorien dieser sehr bekannten deutschen Figur wird versteckt. Tatsächlich klingt “Die Erzählung über Kolonialismus […] im Unterricht nach einer Abenteuergeschichte, wie globales Monopoly. Ein Wettkampf, eine Entdeckungsreise” (57). Diese Verherrlichung der deutschen Vergangenheit trägt zu einer ‘Verwissenschaftlichung von Rassismus’ bei, die systematische Ungleichheit schafft. In ihrem Interview,sagt Hasters, “Ich war richtig sauer als ich irgendwie nochmal recherchiert habe und gesehen habe: Wie kann man, wenn man über die Aufklärung lernt, nicht erwähnen, dass diese ganzen Sachen – Menschenrechte, und diese ganzen Ideen vom freien n Menschen – nicht für alle Menschen gedacht waren, sondern eigentlich nur für eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen […] Ich finde es so einen wichtigen Bestandteil dieser Zeit und wir lernen einfach nichts darüber.” Rassismus ist ein zentraler Teil der deutschen Geschichte aber er hat keinen Platz im Unterricht. Durch ihr Werk und ihren Aktivismus fordert Hasters, dass wir unser Geschichtsbewusstsein entwickeln und die Realität der Vergangenheit aufdecken müssen.
Ein Grund dafür ist, dass Kolonialismus auch die Gegenwart prägt: Kolonialismus ist nicht nur ein Teil der Geschichte, sondern auch ein aktuelles Problem. In einem Artikel im Zeit Magazin sagt Hasters, “Geschichtliche Ereignisse passieren nie isoliert voneinander. Historiker*innen sind sich aber uneinig, welche Kontinuität die Kolonialzeit und der Zweite Weltkrieg aufweisen.” Sie erklärt diese Idee in ihrem Buch: “Die Ausbeutung läuft weiter, in Form von unfairen Handelsabkommen und Unternehmen, die unmenschliche Arbeitsbedingungen dulden. Auch die Sklaverei hat nie aufgehört. Sie ist sogar größer denn je. Der Global Slavery Index hat berechnet, das es heute mehr Sklav*innen gibt als zu Zeiten, in denen Menschenhandel noch legal war.” (63) Kolonialistische Sitten existieren in unserer Welt nach wie vor, aber das Bildungssystem schlägt fälschlicherweise vor, dass diese Formen von Ausbeutung und auch Rassismus nur der Vergangenheit angehören. Da wir im Unterricht nichts über deutsche Kolonialgeschichte lernen, können wir auch die Probleme, mit denen wir jetzt konfrontiert sind, nicht verstehen. Hasters wiederholt: “Wieso haben wir all das nicht in der Schule gelernt, wenn es heute noch so relevant ist?” (64) Sie legt großen Wert darauf, dass das Bildungssystem eine genauere Darstellung von Kolonialismus bieten muss, sodass weiße Menschen den modernen Rassismus verstehen können. Als Autorin und Aktivistin zeigt sie, dass wir Rassismus diskutieren müssen, um Veränderungen durchsetzen zu können.
Deshalb schlägt Hasters vor, dass wir den Prozess der Dekolonialisierung mit einer kritischen Analysierung des Bildungssystems anfangen können. Sie deutet aber auch an, dass man seine eigene Stimme benutzen kann, um diese Ansichten zu verbreiten. Mit ihrem eigenen Buch demonstriert Hasters , dass Literatur eine effektive Methode sein kann, auf das Problem Rassismus aufmerksam zu machen. Gleichzeitig wird Literatur von schwarzen Autor*innen im Allgemeinen nicht angemessen anerkannt. Obwohl Aktivist*innen wie Vera Heyer Initiativen wie das ‘Schwarze Archiv’ geschaffen haben, um die Texte Afrikanischer, Afrodiasporischer und Schwarzer Autor*innen zusammenzutragen, müssen wir uns mehr darum bemühen, die Werke von People of Colour sichtbar zu machen . Es ist unerlässlich, dass die Stimmen und die Erfahrungen von schwarzen Menschen in der Literatur, der Geschichte und im Alltag repräsentiert werden. Wir müssen deshalb das Bildungssystem repräsentativer machen.
Insgesamt leistet Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten einen Beitrag zum Prozess Dekolonialisierung und diskutiert auch die weiterführenden Auswirkungen von Kolonialgeschichte. Hasters zeigt, dass wir Kolonialismus diskutieren müssen, weil wir die “Dinge, die wir nicht lernen, […] nicht kritisch behandeln [können].” (57) Insbesondere weiße Menschen sollten diese Dinge verstehen, sodass sie ihre eigenen Privilegien anerkennen können. Da “weiße Menschen […] als Standard, als Norm [gelten],” – wie Hasters in ihrem Zeit Artikel betont – “fühlt sich Gleichstellung aus der Perspektive [dieser] Privilegierten wie Unterdrückung an. Wichtig ist, dass man lernt, zu verzichten.” Im Allgemeinen zeigt Hasters, dass Literatur und Sprache von größter Wichtigkeit innerhalb des Kampfes für Dekolonialisierung und eventuell Gleichberechtigung sind.